Am romantischen Rhein



Am Rhein, .... und immer wieder am Rhein.... Am sommerlichen Mittelrhein auf einem Treidelpfad den Fluß entlangstromern.... Die Füße laufen, die Gedanken treiben dahin wie die Holzstücke auf dem Wasser....

Von Bad Hönningen bis Koblenz, von den alten Römern über die Preußen bis zu den Heutigen spannt sich der Bogen dieses Spazierganges am Rhein.

Gegenüber dem Vinxtbach, der unterhalb der Burg Rheineck in den Rhein mündet, auf dem anderen Rheinufer, bauten die Römer des 2. Jahrhunderts den Wachturm Nummer I. des Limes. Dieser Grenzwall führte über die Höhen des Westerwaldes und Taunus an den Main und immer weiter nach Süden bis zuletzt nach Regensburg an die Donau. Heute noch sind Wall und Graben über weite Strecken gut zu erkennen. Oben bei dem Gestütshof "Dielsberg", ein halbes Stündchen nach Arienheller, wo HGE immer seinen Wagen abstellt, halb auf dem Rücken des Westerwaldes, steht schon das Fundament des VIII. Römerturms. Jeder Wachtturm in Sichtweite des nächsten. Fünfhundertachtundvierzig Kilometer, neunhundert Wachttürme und das zwei Jahrhunderte lang.

Hat HGE hier nicht vor vielen Jahren einen antiken, römischen, kiloschweren Hammerkopf gefunden und diesen kilometerweit mit nach Haus geschleppt? Hat er nicht auf dem Acker am Wegesrand ein kleines Stückchen Metall aus einem Eisenschild eines Legionärs aufgelesen, auf das die alten Germanen vielleicht eingeschlagen hatten und das in den Acker sprang, und hat HGE es nicht stolz zu Hause herumgezeigt? „HGE hat etwas Römisches gefunden!“ ruft Caro durchs Haus!

Nach Bad Hönningen schlängelt sich ein kleiner Bach durch ein tief eingeschnittenes Waldtal, der Bahlsbach. Der Westerwald schiebt hier seine Gebirgsrücken bis weit an den Rhein heran. In seinen Taleinschnitten führen Wege ins Gebirge, auf denen die Forstwirtschaft das Holz abfährt.

Bei einem alten Birnenbaum steht am Wegesrand eine Bank. Wer hier verweilt, schaut dem Bach und dem Weg entlang Richtung Rhein. Weiter vorn erhebt sich eine stattliche Villa aus dem neunzehnten Jahrhundert aus der Baumgruppe. Den Dachfirst schmückt ein weit sichtbarer Turm mit vier Uhrblättern, die Turmuhr ist irgendwann bei halbfünf Uhr stehengeblieben. Die Villa strahlt die gelassene Ruhe der „guten alten Zeit“ aus. Eine rheinromantische Seligkeit vermittelt dieser Ort. Es gibt nichts Modernes, was den idyllischen Eindruck stören könnte. Nur fernab das Tuckern der Rheinschiffe.

Der Blick folgt dem Weg. Hinter der Villa ragen die Bergeshöhen der Eifel auf, schon auf dem anderen Rheinufer, gekrönt von der uralten Burganlage, von der Burg Rheineck. Ein sehr friedlicher Ort, ein sehr romantischer Platz am Rhein. Ist das hier vielleicht der romantischste Ort am Mittelrhein, heute?

Die Pferde jagen über die Koppel, sie begleiten den Wanderer bis nach Arienheller. Manche mögen diesen Namen auf Mineralwasserflaschen gelesen haben. Bei der Remise werden Reitpferde gesattelt. Eine Spatzenhorde balgt sich im Holunder.

 

Arienheller mit Burg Rheineck

Skizze von HGE



In Bad Hönningen kann man, und HGE tut es sehr gerne, nachdem er Stunden mit Hund und Rucksack und vielleicht Familie, auf den kühlen, windigen und manchmal winterlichen Westerwaldhöhen wandernd verbrachte, im warmen Thermalwasser der "Rheintherme" entspannen und mit Blick auf den vielbefahrenen Rhein im ersten Obergeschoss auf einer Liege "Die Welt" lesen.

Nun, von Bad Hönningen zu Fuß nach Koblenz-Ehrenbreitstein das macht so dreiunddreißig Kilometer am Ufersaum entlang, und am Ende des Weges wartet noch der harte, kurze Aufstieg zur Festung.

Hinter Rheinbrohl schiebt sich der Westerwald mit zwei Bergrücken an den Fluss und drückt die alte Landstraße, die Eisenbahn und den Pfad eng an das Flussufer.

Oben auf der Rheinbrohler Ley hat sich das 29. Infanterieregiment "Rheinland - von Horn" 1931 eine Gedenkkapelle errichtet, während von dem nächsten Berg die geschichtsberühmte und berüchtigte Burg Hammerstein mit den Ruinenbauten herüberschaut.

Von hier aus hat man einen weiten Eifelblick. Brennt die Sonne hier nicht italienisch? Duften die militärisch getrimmten Buchsbaumhecken nicht toskanisch?

Tief unten das Weindörfchen Hammerstein, das sich immerhin von 1330 bis 1830 Stadt nennen durfte.

"Ohne Fleiß von früh bis spät wird dir nichts geraten! Neid sieht nur das Blumenbeet aber nicht den Spaten" steht über dem Hoftor an dem alten Gemäuer.

Hier bauten und lebten schon vor zweitausend Jahren die Römer!
Auf den Resten einer antiken Villa regia aus blauem Basalt entstanden der Nonnen- und der Burgmannshof.

Seit der Römerzeit wird hier Wein kultiviert. Gleich neben dem kleinen Friedhof steigt erst ein Sträßlein, dann ein steiler Pfad den Berg hinauf. Der Pfad führt im leichten Bogen einen von der Südsonne stark beschienen aufgelassenen uralten Weinberg entlang. Die früheren Winzer haben in müheseliger Arbeit aus rheinischem Schiefer eine schöne Stützmauer erbaut, alle zwanzig Schritt führt eine Steintreppe in den Wingert. Heute hat sich eine bunte, wärmeliebende Pflanzenwelt entwickelt. Die blassrote, wilde Heckenrose weitet sich. Hier hat sich der Riesling mit dem Hagebuttenstrauch verwoben, die beide über die Mauer stürzen. Die Weinbeeren sind klein, fast vollständig mit Kernen gefüllt, schmecken im November sehr süß mit einer herben Note. In den Mauerspalten leuchtet der gelbe Mauerpfeffer, der aromatische Feld-Thymian hat sich in Placken ausgebreitet, im Taschentuch mitgeführt, entführt das Aroma gedanklich nach Italien; es leuchtet die stattliche Königskerze hoch über dem Kopf; aufgeschreckte Eidechsen schlängeln in ihren dunklen Spalt.

Im Frühjahr wärmt die abstrahlende Steinmauer den Wanderer beim Aufstieg.

Am Ende des Halbrunds plätschert eine der vielen Westerwaldquellen in ein aus Stein gehauenes Becken, - dann durchstreift der Pfad ein weites Streuobstwiesengelände. Die Wildschweine haben ihre Spuren hinterlassen. Hund Tobi wird unruhig und zerrt an der Achtmeter-Rollleine.

Unten im Tal, auf der Bundesstraße 42 donnern Lastwagen und die Autos der Ruhelosen.

Heiligenhäuschen auf dem Hammerstein

Magischer Ort auf dem Hammerstein



Oben auf dem Hammerstein, wo deutsche Kaiser nächtigten und Soldatenvölker aus vielen europäischen Nationen während des dreißig-jährigen Krieges hausten, wo lateinisch, spanisch, französisch, schwedisch und deutsch gesprochen wurde, gibt es einen beschaulichen Platz:

Die Sonne steht im Süden und beleuchtet ein kleines Doppelkapellchen unter einer erhabenen Sommerlinde, oben in einem verschlossenen Erker ein mageres Jesusbild und unten, hinter mittelalterlichem Eisenbeschlag ein dicklicher Heiliger, den Gekreuzigten zwischen den gespreizten Beinen, eine Friedenstaube im Arm. Der weitkronige, rheinische Baum spendet Schutz und Schatten. Der Wind spielt in den Blättern. Der Blick geht weit.

Burg Rheineck in der Ferne.

Hund Tobi wälzt sich vor Wohlbefinden im Gras, steckt immer wieder seinen Kopf in den Rucksack, um seinen Anteil am Butterbrot zu fordern. HGE schält einen großen roten Apfel von einer der Streuobstwiesen dort oben, vom nicht allzufernen Westerwaldrücken.

Ist das nicht einer der magischen Orte im schönen Rheinlande? Kreuzen sich hier nicht Kraftlinien? Bündeln sich hier nicht magnetische Wellen? Konzentrieren sich hier nicht auf einen Punkt Sonnenstrahlen, Erdstrahlen und die parallele Ausrichtung des Rheins?

Der Wanderpfad am Ufersaum, vom Lärm der Straße durch den dicken Bahndamm abgeschirmt, durchstreift die grüne Busch- und Heckenwelt am Flußufer bis Leutesdorf. HGE möchte ihn den "Nachtigallenweg" nennen, da alle Hundertschritt eine andere Nachtigall ihr sommerliches aber ein wenig trauriges Lied erklingen lässt. Am gegenüberliegenden Ufer, auf der Insel Hammersteiner Werth, haben es sich die Bootscamper gemütlich gemacht, trinken Kaffee auf dem Hinterdeck des Motorbootes unter rauschenden und blinkenden Silberpappeln.

Wie bei einer antiken römischen Villa durchfließt der Mühlbach vom Westerwald kommend den Gutshof "Hubertusburg", fällt über künstliche Stufen durch ein dunkles Mauertor zum Rhein. Über dem Mauertor hat der Villenbesitzer, ein Romantiker, ein Teehaus für träumerische Stunden erstellt. Heute donnern alle zwei Minuten die schweren Züge durch den Garten. Villa und Terrasse sind durch das Eisenband zerschnitten. Die Eisenbahnbauer von 1867 waren keine Romantiker.

In Leutesdorf

Terrasse über dem Rhein



Ja, HGE mag Leutesdorf. So sonnenbeschienen, so vom Wein umrangt, schmiegt es sich in die romantische Rheinseele. Drüben der dunkle Eifler Hang, hüben das warme Rund der Weinberge.

Ja, Leutesdorf, was sagte doch Victor Hugo 1842 in seiner Reisebeschreibung "Le Rhin" über Leutesdorf: "zu meiner Rechten der Rhein und das niedliche weiße Dörfchen Leutesdorf hinter Bäumen halb sichtbar...." vom anderen Ufer, von Andernach aus gesehen. Alte Häuser, verhutzelte Gasthäuschen von Pflanzen umrangt, ein Kloster, eine imposante Villa im Renaissance Stil, ein Platz der Ruhe, ohne die lärmende Eisenbahn nahebei, ohne die laute Landstraße direkt im Ort.

Ein schattiger Uferweg unter frisch geschnittenen Platanen! Das Motorschiff "Filia Rheni" tuckert gemächlich vorbei. Auf dem Parkplatz steht ein Wohnmobil aus Recklinghausen. Der rotbraune Dackel kläfft den Wanderer an.

Kann man hier nicht unter den mächtigen Kastanien des Gasthauses Leyscher Hof auf der Rheinterrasse alle Sorgen dieser Welt mit Wein aus Leutesdorf vergessen machen und in seine Gedankenwelt verträumen? Das bleibt doch für immer! Das kann einem doch kein Schicksal nehmen!

Leutesdorf

Rheinterrasse Leyscher Hof

Zolltor in Leutesdorf

Zolltor von 1572


Passiert man das mächtige Zolltor - von 1638 bis 1805 wurde hier für Kurtrier der Rheinzoll erhoben – schlendert man eine besonders schöne Allee mit einigen imposanten Villen, alten Amtshäusern und Künstlerdomizilen entlang.

Auf durchs mächtige Zolltor, auf zu neuen Blicken, da vorn: Neuwied!

Hinter Leutesdorf drücken sich Eifel und Westerwald wieder hart an den Fluss und lassen nur eine schmale Passage für den mächtigen Strom, die beiden Straßen und die Bahngleise hier und drüben.

Eine dunkle Bergbarriere türmt sich hinter dem südwärtsziehenden Wanderer auf. Hier hat der Rhein sich Jahrtausende durch das hohe Gebirge gearbeitet. So hoch, so dunkel, so verschlossen, so scheinbar unüberwindbar. Der Hochsimmern ist sechshundert Meter hoch!

An dieser Engstelle bewachte im siebzehnten Jahrhundert das Schloss Friedrichstein die Passage. Und heute erinnert nur ein aus Stein gehauenes Fensterelement an das später von den Menschen genannte „Teufelsschloss“ des Grafen Friedrich. Die Bahnbauer von 1867 hatten keinen Sinn für spätere Rheinromantiker und haben das Gemäuer abgetragen!

Ja, am alten Vater Rhein gehen die historischen Wurzeln tief in die Jahrhunderte, ja Jahrtausende zurück. Mein Gott, wer kam nicht alles an dieser Stelle je vorbei, auf der alten Landstraße und auf dem lebhaften Fluss! Hier möchte man alles erfassen, einen intensiven Kontakt zu den geschichtlichen Wurzeln dieses wunderbaren Landes erfühlen. Hier waren Kelten, Germanen, Römer, Spanier, Franzosen, Juden und die wunderbaren "welschen" Rheinländer zu Hause. Ein Schmelztiegel der Menschen aus aller Herren Länder! „Das ist Rasse“ rief Carl Zuckmayer in seinem „des Teufels General“ aus.

Nun öffnet sich das weite Andernacher und Neuwieder Becken zu beiden Seiten. Breite Straßen, vierspurig, brausender, lauter Verkehr, Eisenbahnen, Industrie.

Der Dachdeckergeselle in seinem Kleinlaster hupt und grüßt den Wanderer. Erinnert er sich an seine Wanderburschenzeit?

Die Rheinlandschaft am Strom, die Städte und Dörfer, die Gärten, Parks und Schlossanlagen muss man von der Wasserseite her besuchen, erwandern oder mit dem Schiff erkunden. Hier ist noch der "alte Rhein". Hier sind die Orte, die Häuser, die Menschen und Gärten noch ursprünglich. Wer mit dem Auto kommt wird fernab geleitet, sieht wenig, hört nichts, spürt nichts, riecht nichts und seine Phantasie bleibt trocken!

Über Schnellstraßen, unter Bahndämmen hindurch mit ratternden Schwerlastzügen, über lärmenden Eisenbrücken erreicht man nun einen weitläufigen, ruhigen Park, immer entlang dem Rheinufer bis zur Stadt Neuwied. Mächtige Kastanien begleiten den Wanderer. Auf der anderen Flussseite trainiert die Freiwillige Feuerwehr.

Zitronengelb leuchtet das barocke Schloss der Fürsten zu Wied. Im Park schreien die Pfaue. Schwarze Kanonen vor dem Tore, schwarze Audis und Golfs vor dem Hauptportal. Besucher werden nicht zugelassen. Die Herrschaftsfahne: blau-weiß-rot mit einem grünen Pfau bläht sich auf dem höchsten Dachfirst. "Fidelitate et veritate" heißt der uralte Familienspruch.

Ist diese wehrhafte Riesenmauer ein Abschnitt der Burganlage oder dient sie nur dem Schutz vor dem Rheinhochwasser? Ein monströses, dunkles Mauerwerk liegt vor der Stadt. Kein Blick aus Neuwied gelangt zum Rhein. Viele Kilometer Mauer und Wall schützen die Stadt vor den Rheinfluten.

Für den Wanderer auf der hohen, breiten Mauerkrone ergeben sich Blicke in die rechtwinklig laufenden Straßen der Neuwieder Altstadt, in die Fenster der Häuser, auf die blumengeschmückten Balkone. Der Rhein kommt nicht mehr in die Stadt doch aber die Blicke der Mauerwanderer!

Schwalben umschwirren das Firmenschild: Mauser-Werke Neuwied, Kriegswerkzeug wurde hier produziert, das Rheinmauerwerk führt den Wanderer aus der Stadt in weit abgelegene Hafen- und Industriebereiche.

Die Frau steigt schreiend aus dem Kleinlaster, schimpft auf Türkisch, der Mann fleht, der Wagen rollt, die Frau weigert sich einzusteigen, noch von Ferne hört man sie zetern.

Oben auf dem Weg wird HGE durch den berghohen Kühlturm des Atommeilers von Mülheim-Kärlich, dem stillgelegten Riesen wie magnetisch angezogen. Dieser Turm dominiert hier alles!

Die Bedrohlichkeit nimmt doch dann Kilometer um Kilometer ab, bis der Wanderer Engers erreicht.

Wie riecht der Rhein? Woher bezieht der Rhein sein Wasser? Gletscherwasser aus den Schweizer Alpen, Zuläufe aus dem Schwarzwald, es münden Neckar und Main, die Mosel führt Vogesenwasser aus Frankreich hinzu. All die verschieden Regionen verschmelzen sich in einer Geruchskomposition die der Rhein transportiert; ein leichter Wind weht ihn herüber; wie riecht der Rhein? Riecht er nicht nach nassem Hundefell, nach frisch geschlagenem Sylvesterkarpfen, mit einem erdigen, lehmigen Landschaftston, nicht ein wenig nach Naphtha und Bayer Leverkusen, nach Ausspülungen tausender Kläranlagen?

Engers, ein kleiner Ort, jedoch großartig, direkt am Rheinufer, am Ende eines uralten Wanderwegs von Botterode in Thüringen gelegen: hier werden die mitgebrachten Saalekiesel mit dem Aufschrei: „es ist vollbracht“ voller Stolz in das Wasser geworfen. Hier sonnten sich auf den Terrassen und Balkonen des Barockschlosses die Erzbischöfe und Kurfürsten von Trier, von hier aus zogen sie in den nahen Westerwald zur Jagd.

Beim Wandern ist man auf sich gestellt, auf das was man mit sich führt, im Kopf und in den Taschen. Man reduziert sich auf das Vorhandene. Und das wird sorgfältig beachtet. Wie wichtig ist das Taschenmesser, der letzte Apfel, der Rest der Flasche Wasser wird genauestens abgemessen, das Studentenfutter als letzte Wegzehrung abgezählt in den Mund befördert und als späte Belohnung für die Strapazen das letzte Stück Schokolade aufgehoben. Wird alles bis zum gewählten Ziel reichen?

Am Steiger der Köln-Düsseldorfer vor Engers dümpelt der Rheinblitz, das Tragflügelboot aus Köln in der Mittagspause.

Die Verkehrsplaner haben nicht an die Rheinromantiker gedacht. Hatten nicht die Wanderer auf Rechnung. Vor Vallendar durchschneidet die Autobahn 48 in weitem Bogen das Rheintal. Die Anschlussstelle Vallendar haben sie als Autobahnkreuz ausgebaut. Die Wanderer haben sie dabei vergessen!

Wanderer, hier muss du mutig sein. Neben dir rasen die Autos die breite Bundesstraße in Richtung Vallendar. Dem kannst du nicht entweichen. Am Strom gibt es keinen Pfad. Die Eisenbahn schneidet dich vom Ufer ab. Du musst stoisch Schritt für Schritt gehen. Beinahe fünf Kilometer. Eine Stunde. Nachher brummt dir der Schädel von dem Lärm. An der Araltankstelle in Vallendar kannst du dir dann als Nervennahrung eine Tafel Rittersport mit Haselnüssen und eine Flasche Mineralwasser kaufen. Das brauchst du jetzt, so erschöpft wie du jetzt bist!

Ganz harmlos erscheint Vallendar sobald hinter der Brücke zur Insel Niederwerth der Nebenarm des Rheins erreicht ist. Drüben entrückte Wohnhäuser, hier „Hildegard“ und „Robert“ auf Ihrem Motorbötchen im Weekend, er ein Bierchen in der Hand, sie ein Tässchen Kaffee, das Hündchen döst im Schatten auf dem Heck. „Wat is et im Rheinland schöön.“ Im Radio läuft bei WDR2 die Bundesliga-Konferenzschaltung.

KaiserWilhelm 1. am Deutschen Eck in Koblenz

Das Deutsche Eck


Die Motorbootfähre nach Koblenz legt ab und kreuzt in den Hauptstrom. Jetzt geht es für den Wanderer auf dem Treidelpfad voran. Fünf Kilometer noch bis Koblenz!

Dort vorn, dort auf der rechten Seite, dort mündet die Mosel. Schritt für Schritt wird Kaiser-Wilhelm auf seinem Eisenpferd am Deutschen Eck größer. Noch sind die sechzehn Landesfahnen ein einziges Farbengemisch. Doch immer deutlicher kann man Fahne für Fahne dem Bundesland zuordnen. Hamburg, Bremen, Sachsen ... Zwischen Bahndamm und Strom spendet kein Baum mehr Schatten. Der Wanderer muss jetzt eine Stunde in sengender Hitze den Fluss entlang marschieren. Die Flutmauer ist so hoch, dass HGE die Festung Ehrenbreitstein nicht sehen kann. Jeden vorbeidonnernden Zug kann man von unten bewundern.


Das Ziel des heutigen Tages, Ehrenbreitstein, ragt noch hundertzwanzig Meter in den Himmel.

Die Festungshöhe kann man auf drei verschiedenen Wegen erreichen: auf einer Straßenrampe am Steilhang hinauf in sengender Sonne, durch einen langen finsteren Tunnel und dann mit der Touristenseilbahn oder durch Gebüsch, rutschige Steiltreppen, Festungsmauerdurchlässen, Zwischenräume im Felsen, Bastionen, Verliesen und Tordurchlässen, an alten Soldatenunterkünften aus der Franzosenzeit vorbei. „Sale de mangé“ steht am Eingang zu einer dunklen Halle. Ja, diesen Weg nahmen die Soldaten, wenn sie nach dem Zapfenstreich heimlich in die Unterkunft schlichen.

Über dem Zufußgeher baumeln die Beine der nach oben schaukelnden Seilbahnfahrer.

Aus dem muffigen Dunkel kommend öffnet sich sodann eine helle Riesenterrasse hoch über dem Rheinlande. Unten Koblenz und die Moselmündung, dort hinten erahnt man hinter den Hunsrückbergen das flache Lothringen, die Champagne, und ganz da hinten: den Tour Eiffel in Paris. Von hier oben sauste zur Preußenzeit das optische Telegramm über den Westerwald und quer durch Mitteldeutschland in zwanzig Minuten bis nach Berlin; dann wusste der König was sich an der fernen Rheinfront zutrug. Hier prallten schon immer Franzosen auf Deutsche, Deutschland und Frankreich zusammen.

Unten in Ehrenbreitstein, gegenüber dem Barockschloss, an dem der berühmte Balthasar Neumann aus dem Fränkischen mitwirkte, mit der kolossalen Fassade in rot und weiß, liegt erhöht die Bahnstation „Koblenz-Ehrenbreitstein“.

Die herzlosen Bahnbaumeister haben mit ihrer groben Bahnlinie, hochwassererhoben, den schönen Garten des Schlosses und das Gartenhaus zerstört. Die Bundesstraße als Rheinuferstraße hat den letzten Hauch von Romantik und Idyll aus Ehrenbreitstein verdrängt.

Hier fahren die Regionalzüge ab, hier donnern im Minutentakt die schweren Güterzüge, die Montanzüge zwischen Ruhrgebiet und Elsass-Lothringen durch, ab und an durchrauscht ein Fernzug die nachmittägliche Ruhe, hier hält mit quietschenden Bremsen auch der „Bummelzug“, der HGE wieder an seinen Ausgangspunkt zurückbringen wird. Abfahrt 17.23, eine Stunde noch.

HGE wartet gern auf Bahnhöfen, ganz besonders gern auf den alten Bahnhöfen der Rheinstrecke, die vor nahezu einhundertfünfzig Jahren geplant und gebaut wurden. Hier darf es auch mehr als eine Stunde dauern. Der Aufenthalt ist reizvoll. Hier der Rhein mit dem regen Schiffsverkehr, dort die typischen Ortschaften, auf den Schienen schnelle Züge aus der Schweiz, Amsterdam und von sonst wo, Geranien vor dem Bahnwärterhäuschen, Wartende die nervös an der Zigarette ziehen.

Die Bahnhofsdächer in den kleinen Orten am Rhein haben alle die gleiche Form: wie zwei geöffnete Hände fangen sie den Regen auf. Jedes Metallteil wurde kunstvoll an ein anderes genietet, so dass sich ein weiter, langgestreckter Schirm ergibt. Nietkopf neben Nietkopf, ganz akkurat. An den Tragsäulen in der Mitte des Bahnsteigs führen Gussrohre das Regenwasser in die Erde ab.

Der einsame Bahnhofsbeamte grüßt höflich, heute sind Bahnhöfe in der Provinz verlassene Orte, kein weltläufiges Leben, kein Bahnhofsvorstand mit roter Mütze der persönlich jeden Zug verabschiedet.

Der ältere Jugoslawe umkurvt mit einem Besen HGE, der auf der Bank sitzend einen durchrasenden Fernzug beobachtet, sammelt dann penibel jeden Zigarettenstummel auf, reinigt den Bahnsteig gründlich, ja hingebungsvoll, und summt ein Lied dabei.

17.23, der Bummelzug fährt ein. Auf den Wanderstock gestützt schaut HGE aus dem Fenster: draußen rasen die mühsam aber glücklich gesammelten Wanderkilometer vorbei.

HGE
Düsseldorf, im November 2002